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Intelligenztourismus:

Entdeckungsreise ins Elsass

Ein Trend wider Staus und Herdentiere

42 Kilometer von Basel wird «Live-Museum» pur geboten - ohne mit didaktischer Aufdringlichkeit zu langweilen.

Von Jürg-Peter Lienhard

Bald kennt man Bangkok oder die Seychellen wie den eigenen Hosensack. Ein Steinwurf von Basel, eine Stunde von Zürich, hat man aber Exotik gleich vor der Haustüre: das Elsass. Auf dem Weg zur Weinstrasse findet man das elsässische Freilichtmuseum Ecomusée d'Alsace - ein Museums-Dorf à la Française. Der Besuch gibt einen lebendigen und unterhaltsam gestalteten Einblick in die Zivilisationsgeschichte am Oberrhein. Intelligente Touristen erwartet dort Erlebnis ohne Bildungsstress und voll witziger Anspielungen auf die hektische Gegenwart.

Bild 1 Dorfplatz

In den elsässischen Dörfern entstand der Dorfplatz dort, wo der Reissboden lag. Da wurden die Fachwerk-Fassaden vor dem Aufrichten ausgelegt und zusammengesetzt. Foto J.-P. Lienhard, Basel © 2003
Klicken Sie hier, wenn Sie einen illustrierten Spaziergang durch das Museumsdorf machen wollen.

 

Staus am Gotthard, Schrittempo in der Leventina, nichts geht mehr auf den ewigen Baustellen der Nationalstrassen, am Hauenstein und im Mittelland ebenso wie beim Nadelöhr am Walensee. Und bald kommts noch schlimmer: Ferien in St-Tropez, noch vor 30 Jahren ein Privileg, sind heute ein Fast-Food-Camping-Entsorgungsproblem. Philosophen und kritische Tourismus-Ökologen warnten indes schon vor Jahrzehnten: dass der Massentourismus die Sache, für die er ins Leben gerufen wurde, erbarmungslos selbst zugrunde gehen lässt.

 

Faszinierendes Ecomusée d'Alsace

 

Was gibt es da für Alternativen, klügere Ideen und gut durchdachte Entschlüsse - «Intelligenztourismus», wie der Basler Historiker Markus Kutter einmal treffend gefordert hat: Leute, die bereit sind, das Abenteuer der Erkundung ihrer gewiss unbekannten näheren Umgebung auf sich zu nehmen. Ohne Staustress, ohne überfüllte Airterminals oder Restaurants und ohne sich gaffend gehen zu lassen, sondern lernend teilzunehmen. Man wird nicht spediert und animiert, sondern man entdeckt selber. Und wie:

15 Kilometer nördlich von Mülhausen, insgesamt nur 42 Autokilometer von Basel, ist schon seit über zehn Jahren eine Institution in Betrieb, die vom Ehrgeiz beseelt ist, diesem sanften «Intelligenztourismus» ein Ziel zu schenken. Ecomusée d'Alsace heisst sie und hat nicht nur eine faszinierende Entstehungsgeschichte hinter sich, die in nichts den genialen Pioniertaten der oberrheinischen Industriegründer nachsteht - sie bietet heute in der Hochsaison 165 Menschen einen Arbeitsplatz -, sondern sie hat auch eine eigene Philosophie, die dem Besucher zwar nirgends direkt auf die Nase gebunden wird, deren atmosphärischer Stimmung sich aber kaum jemand nicht hingeben mag.

Die Fahrt ins Elsass - seis im Auto, seis mit dem Velo - lässt zumeist fraglos vorbeiflitzen, was zur Geschichte, zur Kultur, zu unserer näheren und doch so fremden Heimat-Umgebung gehört. Aber auch im Elsass ist ja das, was man so Fortschritt nennt, in den letzten Jahrzehnten «fortgeschritten». Wo einst ganze Dörfer ein unverwechselbares «Gesicht» aus Riegelhäusern, Scheunen und Obstgärten richtiggehend zur Schau trugen, sind jetzt Tankstellen, Gewerbezonen und Einkaufszentren angesiedelt.

 

Vor 20 Jahren krempelten Junge Leute die Ärmel hoch

 

Die jungen Leute um den Museumsgründer Marc Grodwohl haben vor etwas mehr als zwanzig Jahren die Entwicklung vorausgeahnt und die gut demontierbaren, weil als «Fahrhabe» so gebauten, Fachwerkhäuser ins künftige Ecomusée d'Alsace gezügelt. Bei der Eröffnung im Juni 1984 waren erst 19 Häuser aufgebaut, und heute sind es fast siebzig Gebäude - das Ecomusée d'Alsace hat sich während seines zehnjährigen Bestehens gut um fast das Vierfache vergrössert.

Daneben entstanden ganze Landschaften, wie der Natur- und Vogelschutzpark im mäanderähnlichen Ausfluss des Gewerbekanals, der die mächtige Sägemühle antreibt. Oder die Musteräcker- und Gärten, welche die Entwicklung der Landwirtschaft von der Dreifelderwirtschaft bis zum Einzug der Mechanik aufzeigt und auf einem überraschungsvollen landwirtschaftlichen Lehrpfad begangen werden können.

 

Ein Hotel-Dorf aus alten Bauernhäuser

 

Tiere leben im Dorf, Geflügel, Ziegen, Pferde und Ochsen werden gebraucht und lassen mitunter höchst authentisch das fallen, was ein städtischer Sonntagsschuh schon lange nicht mehr erwartet. Überwältigend ist die Präsenz ganzer Storchenfamilien, die flügelschlagend die Dächer umkreisen und klappernd auf den First-Nestern stehen.

Ein Hotel-Dorf und eine Festhalle mit 800 Bankettplätzen sind aus «wiederbelebten» ehemaligen Bauernhäusern vor dem eigentlichen Freilichtmuseum entstanden. Drei Restaurants bieten nicht minder Authentisches aus der elsässischen Küche. Wer Lust hat auf ein Glas «Crémant», dem schäumenden elsässischen Edelgetränk, kann es bei atmosphärischer Orgelmusik an der Bar des Salon-Karussells «Demeyer» aus der «Belle Epoque» um 1900 geniessen. Dieses spiegelverzierte und tausendfach beleuchtete Jahrmarkt-Fahrgeschäft ist das Bindeglied zwischen dörflichem Kern, der mit dem mittelalterlichen und die Silhouette dominierenden Wohnturm beginnt, und dem Gewerbe- und Industriequartier, das zwar noch im Aufbau begriffen ist, aber dereinst bis zur mächtigen Industrieruine der stillgelegten Kalimine «Rodolphe II» fortgesetzt werden und somit die Verbindung zur allerjüngsten elsässischen Vergangenheit herstellen soll.

 

Es wird gebacken, gekeltert, gehackt, geschmiedet...

 

Die Bewahrung und Wiederbelebung alter Handwerke wird gezeigt. Wie bäckt man Brot, bemalt Papier, keltert Wein, hackt Holz, schmiedet Nägel, verarbeitet Kräuter? In der Hauptsaison von April bis Ende November wird jeden Sonntag und an Feiertagen ein anderes Thema angegangen. Alte Fachleute, die noch mit den Maschinen und Geräten gearbeitet haben, Zimmermanns- und andere Handwerker-Innungen sowie Bauern und Weinleute kommen jeweils zum entsprechenden Thema gerne und als idealistisch Mitwirkende zum Einsatz, während an den Wochentagen die Ausstellungen bis zum nächsten Sujet bestehen bleiben.

Etwas ganz Neues ist im Ecomusée d'Alsace verwirklicht worden: Dorf und Museum, Werkstätten und Anlagen werden nicht für die Leute, sondern mit den den Leuten betrieben. Der Zusammenhang zwischen Vergangenheit und Gegenwart bleibt für den Aufmerksamen kein Geheimnis mehr in diesem zukunftsorientierten Museum für die Zvilisationsgeschichte am Oberrhein vom Mittelalter bis zur Gegenwart.

 

Von Jürg-Peter Lienhard


Info:
Hauptseite des Ecomusée d'Alsace (französisch)
Hotel des Ecomusée d'Alsace mit Reservationsformular (französisch)


Wie man hinkommt:


Das Ecomusée d'Alsace erreicht man mit den öffentlichen Verkehrsmitteln von Basel aus mit der französischen Bahn ab Hauptbahnhof Basel bis Mulhouse und von dort per Bus Richtung Guebwiller (Linie 636 im Regio-Fahrplan - zu beziehen an den Postschaltern der Region Basel oder Auskunft bei den Basler Verkehrsbetrieben, BVB).

Im Privatwagen beträgt die reine Fahrzeit ab Autobahnzoll zirka 42 Minuten (oder 42 Kilometer) auf der Autobahn A35 Richtung Mulhouse, Abzweigung Richtung Colmar/Strasbourg, Ausfahrt Ensisheim/Ecomusée der Lokalbeschilderung folgen.

Das Ecomusée d'Alsace ist für das Individual-Publikum täglich geöffnet, aber je nach Jahreszeit zu verschiedenen Öffnungszeiten. Gruppen können auf Voranmeldung auch ausserhalb der Öffnungszeiten empfangen und verpflegt werden. Telefonische Auskünfte: Tel. 003389 74 44 74, Fax 003389 48 15 30. Postadresse: Ecomusée d'Alsace, F-68190 Ungersheim.

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