Artikel vom: 22. November 2003
Basler Stadtbuch 1992 - «Schlumpf-Affäre»
Er war der letzte Textilbaron Mülhausens
Fritz Schlumpf (1906–1992) im Basler Exil
gestorben
Der Schweizer Industrielle liess seine
vier französischen Textilfabriken wegen seines Sammelwahns bankrott
gehen - Zuchthausstrafe wurde wegen hohen Alters bedingt erlassen
Von Jürg-Peter Lienhard
Der Tod von Fritz Schlumpf am 18. April
1992 in Basel hat den Schlussstrich gezogen unter eine Geschichte, die noch
nicht geschrieben ist, aber deren Ende schon lange vor seinem Ableben eingetroffen
war: Die Geschichte des letzten Patriarchen der gloriosen elsässischen
Textilindustrie, dem seine Sammelleidenschaft für alte Autos zum Verhängnis
wurde.
Fritz Schlumpf (rechts) mit seinem vor ihm verstorbenen
älteren Bruder Hans werden in der Nähe ihrer Luxus-Unterkunft «Hotel
Drei Könige» in Basel jäh vom Fotografen erwischt: Über
Jahre war es unmöglich, von den öffentlichkeitsscheuen Brüdern
eine Fotogenehmigung zu erhalten. Doch mit ihrer kriminellen Pleite machten
sie sich zu Personen des öffentlichen Interesses und genossen somit weniger
rechtlichen Schutz am Recht um das eigene Bild. Foto J.-P. Lienhard, Basel
© 2003
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Der im Elsass aufgewachsene Schweizer Industrielle verursachte Anfang der
siebziger Jahre im Elsass einen beispiellosen sozialen Skandal, der von der
ganzen Weltpresse aufgegriffen wurde. Gepackt vom Sammelfieber, liess er seine
Betriebe Konkurs gehen, derweil er eine riesige, private Automobilsammlung
aufbaute. In seinen vier französischen Kammgarnfabriken, drei davon im
Elsass, waren damals fast 2000 Arbeiter beschäftigt - zusammen mit den
Angehörigen betraf der plötzliche Konkurs über 8000 Menschen.
Während des Konkurses hatte sich Fritz Schlumpf nach Basel ins freiwillige
Exil abgesetzt, wo er sich zunächst mit seinem zwei Jahre älteren
Bruder Hans während Jahren im Hotel «Drei Könige» eingemietet
hatte.
Heimliche Aufnahmen lösten Skandal aus
Die im Februar 1977 heimlich im streng bewachten Privatmuseum von Fritz
Schlumpf aufgenommene Photoreportage eines ausländischen Journalisten
(Anm.: Es handelt sich dabei um den Autor dieses Artikels), die sofort von
den angesehensten Medien Europas verbreitet wurde, belegte schlagartig die
Gerüchte um das Ausmass des privaten Reichtums. Daraufhin besetzten
die Arbeiter während zwei Jahren die Sammlung «als Pfand für
die verlorenen Arbeitsplätze». Durch die Besetzung verschafften
sich die Arbeiter Zutritt zu den Geschäfts- und Privaträumen und
lieferten zentnerweise Belastungsmaterial an die Staatsanwaltschaft von Mülhausen.
Die Sammelwut der Gebrüder Schlumpf kannte keine
Grenzen: Über 500 bis zum letzten i-tüfelchen restaurierte Autos
haben sie zulasten ihrer Betriebe zusammengesammelt. Damit nicht genug: Die
Oldtimer wurden von den aus den Fabriken abgezogenen und von ihnen bezahlten
Fachleuten restauriert. Foto J.-P. Lienhard, Basel © 2003
Es folgte unmittelbar die Anklage wegen betrügerischem Konkurs und
Veruntreuung von Betriebsvermögen sowie der Haftbefehl. Die Sammlung
wurde zur Sicherstellung der Gläubigerforderungen beschlagnahmt und
in die Konkursmasse der failliten Betriebe geführt. Danach wurde die
Sammlung gesamthaft als nationales Denkmal eingestuft und durfte daher weder
ins Ausland transferiert, noch auseinander gerissen werden. Eine öffentlich-rechtliche
Gesellschaft mit Beteiligung der Stadt Mülhausen, des Departements und
des Autoindustriellen Panhard brachte den Kaufpreis in der Höhe der
Gläubigerforderungen auf und führt heute die Sammlung Schlumpf
als öffentliches, nationales Automobilmuseum.
Schweizer Regierung rügt feige Bankrotteure
Die aufsehenerregende Affäre blieb auch in der Schweiz nicht ohne Echo:
so bezog die Schweizer Regierung, der Bundesrat, am 7. März 1978 in der
Beantwortung einer Einfachen Anfrage von Jean Ziegler, Genf, klare Position
zu dem von den französischen Strafverfolgungsbehörden gestellten
Rechtshilfebegehren und kommentierte: «Im übrigen erachtet es der
Bundesrat als mit der Verantwortung eines Unternehmers unvereinbar, bei Schwierigkeiten
im Unternehmen ins Ausland abzureisen.»
Gegen sämtliche Urteile, die mehrjährige Zuchthausstrafen für
Fritz und Hans Schlumpf vorsahen, rekurrierten sie hartnäckig und in
absentia von ihrem Basler Exil aus, bis kurz vor dem Tod von Fritz Schlumpf
die letze Revisionsrunde vor dem Kassationsgerichtshof in Paris wegen seines
inzwischen erheblich verschlechterten Gesundheitszustandes (Demenz) und wegen
seines hohen Alters der Haftbefehl aufgehoben und die ursprünglich unbedingte
vierjährige Zuchthausstrafe auf ein Jahr Gefängnis mit Bewährung
verkürzt wurde. Die unzähligen juristischen Schlachten und Scharmützel,
die von den Schlumpf-Anwälten vor den Elsässer, Basler und Pariser
Gerichten geführt wurden - für Fritz Schlumpf standen zeitweilig
bis zu einem Dutzend hochrenommierter Advokaten im Dienst - sind beispiellos
in der franzöischen Justizgeschichte. Das eigentliche Ziel, die Rückgabe
der Sammlung an die Schlumpfs erreichten sie indessen nicht.
Autosammlung ist Teil Mülhausens Textilgeschichte
Die Schlumpf'sche Automobilsammlung kann nicht losgelöst werden von
der Geschichte der elsässischen Textilindustrie. Wer Mülhausen
nur als «Gastro-Tourist» kennt, mag sich vielleicht kaum vorstellen,
dass die Stadt bis zum Ausbruch des deutsch-französischen Krieges von
1870 als Industrieort bedeutender war als Basel, ja wegen seiner 120 Kamine,
respektive der entsprechenden Anzahl Textilfabriken gar den berechtigten Übernamen
«Manchester des Kontinents» trug.
Die häufig von Hugenotten abstammenden Industriepioniere - Mülhausen
war bis zur französischen Revolution ein «eidgenössisch zugewandter
Ort», der den verfolgten französischen Protestanten Zuflucht bot
- bildeten die vornehme «Société Industrielle de Mulhouse»
- der Mülhauser «Daig» (Baseldeutsch für verächtl.:
Teig, Klüngel). Er war übrigens nicht selten mit jenem von Basel
verschwägert. Zumal sich in jener Zeit ein reger Kapital- und Technologieaustausch
zwischen dem Elsass und der Schweiz abspielte. Insbesondere auch zwischen
den textilen Metropolen der Ostschweiz und des Zürichbietes mit seinen
Maschinenfabriken, die Textilmaschinen, aber auch Wasser- und Dampfturbinen
für deren Antrieb lieferten.
Die Arbeiter mussten nicht nur ihre Arbeitsplätze
beklagen, sondern es sah eine zeitlang ganz so aus, als ob die Sammlung auseinandergerissen
würde. Weil sie sich dadurch ein zweites Mal betrogen sahen, besetzten
sie das Privatmuseum «als Pfand für die verlorenen Arbeitsplätze»
und tauften die Sammlung Schlumpf in «Musée des Travailleurs»
(Museum der Arbeiter) um. Foto J.-P. Lienhard, Basel © 2003
Fritz Schlumpf und seine Geschichte sind vor diesem Hintergrund zu sehen.
Sein Vater Carl, ein katholischer Textilingenieur aus dem sanktgallischen
Neuhaus, vermählte sich mit Jeanne Becker, Tochter einer calvinistischen
Mülhauser Industriellenfamilie. Ihre beiden Söhne, Hans und der
jüngere Fritz, wurden im Abstand von zwei Jahren 1904 und 1906 in Omegna
in der Nähe von Mailand geboren, wo der Vater in der italienischen Textilhauptstadt
tätig war. In derselben Stadt übrigens, wo ein anderer Einwanderer
ins Elsass geboren wurde: Ettore Bugatti - ein begnadeter Automobilkonstrukteur,
der später im elsässischen Molsheim zu produzieren begann und mit
seinen Luxuskarossen Weltruhm erntete.
Altar mit Porträt der strickenden Mutter
1908 siedelte die Familie Schlumpf nach Mülhausen über, aber kaum
acht Jahre später starb der Vater. Jeanne Schlumpf übernahm rigide
die Organisation für die Ausbildung der Knaben, was beide stark geprägt
hat. Insbesondere Fritz konnte sich Zeit seines Lebens nicht von seiner Mutter
lösen. Davon zeugt das riesige Porträt der strickenden Mutter, welche
die Eingangspartie zur Autosammlung dominiert. Einem Altar gleich, aber statt
Kerzen von den Kinder-Tretautos ihrer beiden Söhne flankiert…
Als die Mutter im Jahr 1957 hochbetagt starb, waren ihre Söhne die
einflussreichsten Patrons der Textilbranche geworden. Mit drei Spinnereien
im Elsass und einer in Nordfrankreich beherrschten sie unbestritten den französischen
Markt für gekämmte Garne.
Das war auch der Zeitpunkt, als die Molsheimer Bugatti-Fabrik aufgelöst
wurde. Fritz entschloss sich das Erbe Bugattis zu retten und kaufte nicht
nur die Produktionsreste, sondern gleich dutzendweise auch weitere Automobile
in der ganzen Welt, die den Namen Bugatti und anderer berühmter europäischer
Karossenschmiede trugen. Damit begann sein eigentliches Sammelfieber für
alte Autos. Aus der anfänglichen Leidenschaft entwickelte Schlumpf rasch
eine verhängnisvolle Sammelsucht, die jegliches Mass zu sprengen begann.
Bei der Besetzung der Privatsammlung durch die Arbeiter wurden 413 vollständig
restaurierte Oldtimer gezählt.
Letzter unumschränkter Patron
Damit aber nicht genug: hinzu kamen Motorräder, Fahrräder, Motoren,
ja ein halbes Schiff, ein Ruderboot und sogar eine ausgeschlachtete zweimotorige
Douglas DC 3. In der inzwischen geschlossenen Kammgarnspinnerei von Malmerspach,
die Schlumpf, gemäss Strafklage, durch illegale Kapitaltransaktionen
regelrecht ausgeblutet hatte, waren beim Konkurs weitere Dutzende von unrestaurierten
Autos gelagert. Die Ingenieure und Handwerker am Schlumpf‘schen Stammsitz
arbeiteten statt für die Betriebe nur noch für die private Autosammlung.
Malmerspach zum Zeitpunkt, als die Gebrüder Schlumpf
aus dem armen Thanner-Tal ins Luxushotel «Drei Könige» nach
Basel flüchteten (1977). Foto J.-P. Lienhard, Basel © 2003
Fritz Schlumpf war der letzte unumschränkte Patron der elsässischen
Textilgeschichte. So wie er in den dreissiger Jahren an seinem späteren
Stammsitz in der Vogesenortschaft Malmerspach ankam, so verliess er sie wieder:
mit lediglich zwei Koffern in der Hand.
Jürg-Peter Lienhard
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