Kunst
Fulminante Vernissage «LUGINBÜHL
total»
Eine Nacht, wie schon lange nicht mehr
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Bernhard
Luginbühl vermisste im Museum Jean Tinguely das gewisse «Chaos»,
das den Boden für seine und Tinguelys künstlerische Inspiration
bildet
Von Jürg-Peter Lienhard
Es war eine Nacht, wie schon lange nicht
mehr in Basel. Genauer gesagt, seit der berühmten «Hammer»-Ausstellung
von Felix Handschin in den ehemaligen Werkhallen der Verzinkerei Gempp
& Unold zu Beginn der achtziger Jahre: Die Vernissage der «gigantomanen»
Ausstellung von Bernhard Luginbühl im Tinguely-Museum vom Sonntag,
21. September 2003.
Bernhard Luginbühl (rechts) ist vom anfänglichen
Gegner der Architektur von Mario Botta (links) zu dessen persönlichem
Freund geworden. Dazu beigetragen als «Vermittler» hat wohl
auch der Direktor des Museums Jean Tinguely, Guido Magnaguagno (mitte).
Foto: J.-P. Lienhard, Basel © 2003
Das Museum Jean Tinguely vermochte Hundertschaften zur Vernissage der
Ausstellung «LUGINBÜHL total» zu mobilisieren. Mindestens
200 Luginbühl-Fans kamen von Bern in einer Extrabus-Karawane angereist.
Denn auch in Bern fand gleichentags eine Luginbühl-Vernissage statt,
und das mit Absicht: Die beiden Ausstellungen in Bern und in Basel sollen
sich ergänzen und nicht konkurrenzieren.
So sind etwa im Tinguely-Museum in Basel die riesigen Holz- und Eisenmonster
zu sehen - von den «Atlas» bis «Der Grosse Boss»
geheissenen rostigen Eisenskulpturen. Daneben auch kleinere Werke, die nichtsdesto
weniger spannend zu entdecken sind. Alles in allem eben ein gewisses «Happening».
In Bern aber ist nichts Spektakuläres auszumachen; dort wird Luginbühls
Werk im Sinne einer «Kunstausstellung» gezeigt.
Herzliche Stimmung
Noch vor dem offiziellen Beginn der Vernissage am Sonntagabend, 21.
September 2003, war die Stimmung um und im Tinguely-Museum mehr als aufgeräumt:
Eine warme, sympathische Stimmung allenthalben. Eine milde Herbstsonne
gleisste im Wasser des Tinguely-Brunnens, weiss gedeckte Tische und lange
Bänke waren bereits besetzt von einem erwartungsvoll harrenden Publikum,
derweil verführerische Düfte aus der luginbühlschen Freiluft-Küche
durch die Paul-Sacher-Anlage schwebten.
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Gerührter Bernie mit seiner stolzen Ursi: Die Ansprache des Museumsdirektors
mit dem Zungenbrecher-Namen Guido Magnaguagno war herzlich und voller
Freude. |
Es war zunächst Guido Magnaguagno, der so aussieht wie ein sizilianischer
Mafia-Padre, aber so schnörkellos und doch so kunstvoll und liebenswürdig
in freier Rede die Ansprache im Innern des Museums gehalten hat. Der Museums-Direktor
wies auf die lange Geschichte dieser Ausstellung hin und verriet dem staunenden
Publikum, wie Luginbühl von anfänglich wütender Abneigung
gegen den Bau und dessen Schöpfer, Mario Botta, sich mit dessen Architektur
auseinanderzusetzen begann, was schliesslich zu einer tiefen Freundschaft
mit Botta führte.
Standhaftes «Nein» akzeptiert
Kein Geheimnis machte Magnaguagno auch aus dem standhaften Nein, das
Luginbühls Wunsch nach einer leeren Museumshalle, ohne «Tinguely»-Beiwerk
trotzte. Nun stehen also zwei Riesenmaschinen Tinguelys - darunter «der
grosse Luminator» - gewissermassen in Konkurrenz zu Luginbühls
Grossplastiken im selben Raum. Zwei Titanen, die auch sonst in grösster
Freundschaft konkurrierten, stehen zum Vergleich.
Und weil dieser Sonntag auch der Eidgenössische Buss- und Bettag
war, dankte Magnaguagno dem «Herrgott», was keinesfalls blasphemisch
tönte, dafür, dass ein freundliches Wetter über der Vernissage
schien, dass keine Unfälle zu beklagen waren und meinte, dies sei
auch der Anlass, besonders intensiv an Jeannot Tinguely zu denken. Schliesslich
kündigte der Direktor eine «luginbühlsche Verbrennung»
auf den 16. Februar 2004 an, dem Tag, an dem Bernhard Luginbühl seinen
75. Geburtstag feiern wird. Welches Werk dabei in Rauch und Flammen aufgehen
wird, ist allerdings zurzeit vom Künstler noch nicht entschieden.
Tolle Gastfreundschaft der Luginbühl-Familien-AG
Wiewohl der Ausdruck etwas abgegriffen ist, ist er dennoch
der Treffende: Als Magnaguagno Luginbühls Ursi in der Zuschauermenge
richtiggehend auf die als «Bühne» genutzte Treppe der
Tinguely-Riesenmaschine zwang, ging sichtlich eine Welle der Rührung
durchs Publikum. Die Söhne Brutus, Basil und Iwan sowie die Tochter
Eva, waren hingegen nicht auszumachen, schliesslich hatten sie alle Hände
voll zu tun für das Bauernbuffet à la Luginbühl.
Bernhard Luginbühl selbst beschränkte seine kurze, etwas
in den Bart gemurmelte Ansprache auf ein paar wenige Sätze - aber
die hatten es in sich: Er, der unermüdlich Kunst Schaffende, vermisse
in dieser sauberen Halle das Chaos, aus dem er und Tinguely seine Anregungen
schöpfe. Doch auch er war begeistert von der Wirkung, die seine Monster
vor weissen Wänden erzeugten.
«Wildes Chaos» ist ruhiger Beschaulichkeit
gewichen
Als daraufhin der Applaus einsetzte - ein langanhaltender, warmer,
strahlte auf dem Gesicht Luginbühls so etwas wie berührtes Glück.
Allerdings musste er gleich darauf einen Riesenmarathon von Händeschütteln
und Autogrammwünschen absolvieren, bis er dann ganz spät am
Abend zusammen mit dem Philosophen Hans Saner, sich endlich an einen Tisch
setzen und etwas aus der Küche der Mötschwiler Bande zu sich
nehmen konnte.
Mit dieser Ausstellung des Freundes von Jean Tinguely hat das Museum
auch eine Rückschau über die Schaffensperiode Luginbühls
von den «verrückten» sechziger bis zur Gegenwart angestrebt.
Was aber gerade an der Vernissage auffiel, das war fast die gänzliche
Absenz der jungen Generation. Nicht so wie damals in der «Hammer»-Ausstellung,
wo sich die junge Avantgarde ihr Stelldichein bei Handschin, Luginbühl
und Tinguely gab. Vielleicht ist die Zeit der wilden, rebellischen Künstler
vorbei - die jungen Zeitgenossen bemalen brav Trottoirs und hängen
bunte Tücher an banale Fassaden oder Littmann-, pardon Litfass-Säulen…
Jürg-Peter Lienhard
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