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Kunst

Aufsatz ad «Grau in Grau…»

Mark Rothko
Black on Gray Paintings: A Centennial Celebration

Zur Sonderausstellung zum 100. Geburtstag in der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel

Von Oliver Wick

Der im russischen Dwinsk als Marcus Rothkowitz geborene Künstler emigriert mit seiner Familie im Jahre 1913 in die USA, wo sich diese in Portland (Oregon) niederlässt und damit der sehr unsicheren, von willkürlichen Pogromen geprüften Heimat entflieht. Der künstlerische Weg war ebensowenig vorgezeichnet, wie der grosse Erfolg, der in den späten 50er Jahren einsetzt.

Auch nach dem tragischen Freitod des Künstlers 1970 erfreut sich sein Werk ungebrochener Beliebtheit. Mark Rothko zählt heute zu den grossen Pionieren der amerikanischen Kunst der Nachkriegszeit und wird, neben Barnett Newman und Jackson Pollock, als einer der wichtigsten Vertreter des Abstrakten Expressionismus angesehen.

Aus Anlass des 100. Geburtstags richtet die Fondation Beyeler in Zusammenarbeit mit den Rothko-Kindern Kate Rothko Prizel und Christopher Rothko die Rothko Rooms noch einmal neu ein und erweitert sie in substantieller Weise auf vier Räume. In dieser nun fünften Präsentation seit der ersten Einweihung im November 2001 stehen zwei Überlegungen im Vordergrund: Einerseits soll dieses in Europa einzigartige Ensemble auf Zeit einen kleinen, repräsentativen Querschnitt durch alle Schaffensphasen vermitteln, und andererseits soll einer der Ausstellungsräume, der ausschliesslich Black on Gray Paintings aus den letzten Schaffensmonaten von 1969/70 vereint, eine eindrückliche Hommage an den Künstler sein.

Ein beklemmend enges Subway-Gemälde und zwei surrealistische Grossformate stehen für die künstlerischen Anfänge, in denen trotz der grossen Unterschiede viele Momente der späteren Entwicklung angezeigt sind. Eine geschlossene Gruppe der sogenannten Multiform Paintings markiert Mark Rothkos Aufbruch in eine farbräumliche Richtung. Wie bis anhin werden zwei Räume einer repräsentativen Auswahl von Werken der 50er und 60er Jahre vorbehalten sein. Die Hängung folgt den Überlegungen des Künstlers, die Gemälde weniger als chronologische Reihung zu verstehen, sondern sie in Hinblick auf ihre Wirkung aufeinander zu gruppieren. So bestimmen leuchtende Farbakzente den zweiten Raum, während die verhaltene Gestimmtheit auf Rotbraun - Maroon - für den dritten Raum charakteristisch ist. Schluss- und Höhepunkt ist der letzte Saal, ein gefangener Raum mit sechs Werken der Black on Gray Paintings.

Die Black on Gray Paintings bilden eine in sich geschlossene Gruppe von 18 Bildern, die einen neuartigen, charakteristischen Bildbau aufweisen und die Rothko alle mit Untitled bezeichnete. Sie sind zugleich Wendepunkt und Neuanfang. Anders als die bisherigen Werkzyklen, wie die Seagram und Harvard Murals oder die Gemälde für die Rothko Chapel, sind sie nicht für ein bestimmtes gesamträumliches Projekt entstanden. Zudem lassen sie sich auch nicht einfach als eine Fortsetzung aus dem reifen Werk ableiten. Sie setzen eine Zäsur, was schon in der Wahl eines neuen Malmediums, den Acrylfarben, die Rothko nun erstmalig verwendet, zum Ausdruck kommt. Vor allem ihre bildnerische Organisation setzt sie mit Distinktion von allem Bisherigen ab. Der Bildbau besteht nicht mehr aus bildparallelen Flächen, die übereinander geschichtet auf einen monochromen Grund gesetzt werden. Das gleichsam typische Schweben weniger Binnenformen ist einer Verfestigung in der Fläche gewichen. Alle Bilder dieser Gruppe sind horizontal zweigeteilt.

Einer unteren, in einer grauen und zuwellen braunen Palette gehaltenen Hälfte steht eine obere, schwarze gegenüber. Nicht selten sind beide Flächen mit einer stark gestischen Pinselführung durchwirkt. Insbesondere am Binnenmeridian kräuselt sich die Farbe spannungsvoll und, obgleich ein scharfgeschnittener Horizont vorzuherrschen scheint, greifen Grau und Schwarz ineinander.

Auffälligste Besonderheit ist ein schmales weisses Rahmenband, das alle Bilder der Serie mit einer Ausnahme umläuft. Mit dieser Absetzung von der eigentlichen Bildgrenze wird der Eindruck eines Bildes im Bild gesteigert. Besonders daher rührt der vorherrschende Eindruck, dass nun nicht mehr Flächen ins Bild gesetzt sind, sondern das Bild selbst in seiner Identität als Fläche gesteigert wird. Allerdings hat diese minimalisierte Gliederung, diese horizontale Zweiteilung auch einen «landschaftlichen» Eindruck zur Folge, so als würde man über eine planetare Kante ins Nichts blicken.

Der weisse Rahmen betont in diesem Falle den Eindruck eines Bildes als «Fenster», als Blick auf eine andere Realität. Es ist anzunehmen, dass Rothko bewusst mit beiden widersprüchlichen Strategien spielte. Auffallend ist die Distanz, die dadurch zum Betrachter geschaffen wird. Es ist nicht mehr eine schwebende, in den Raum ausgreifende Farbe, die den Betrachter umhüllt, sondern eine gesteigerte Präsenz - eine ikonische Strenge -, mit der er konfrontiert wird.

Die Serie der Black on Gray Paintings geht auf Papierarbeiten zurück, die in grosser Zahl im Sommer 1968 in Provincetown auf Cape Cod entstanden sind. Nach einer schweren Erkrankung Rothkos sahen sich die Ärzte veranlasst, zur Schonung seiner Kräfte ein eigentliches Malverbot auszusprechen. Es war ihm nur erlaubt, auf kleinformatige Papiere zurückzugreifen. Damit nimmt er eine Technik auf, die er seit den späten 50er Jahren nicht mehr praktiziert hatte und die vor allem in seiner surrealistischen Arbeitsphase der 40er Jahre vorherrschend gewesen war.

Im Herbst reduziert er die Farbe auf Dunkelbraun und Grau. Die Formate werden für Papiere geradezu monumental und bereiten die Serie der Black on Gray Paintings, die er im Frühjahr 1969 in Angriff nimmt, direkt vor. Das Aufkleben der Papiere mit Abdeckband auf eine Malunterlage erklärt den weissen Rand, der auch in den Leinwänden beibehalten wird.

Die augenfällige Verschlossenheit und das Fehlen von «schöner» Farbe legen die Versuchung nahe, dieses Spätwerk mit den tragischen, von Depression, Alkohol, Krankheit geprägten letzten Lebensjahren des Malers in Verbindung zu bringen. Damit würde man aber nicht nur die weitreichende Bedeutung und Konsequenz eines Lebenswerks verkennen, sondern es auch romantisierend verklären. Die Hinwendung Rothkos zu einer dunklen, immer stärker von Schwarz dominierten Palette ist ein kontinuierlicher Prozess, der in engem Zusammenhang mit seinem Misstrauen gegenüber dem zunehmenden Erfolg steht.

Ungeachtet des Fehlens eines direkt lesbaren Bildinhalts und trotz scheinbarer Abstraktion besteht er zeitlebens auf Inhaltlichkeit. Schon 1957 versucht er mit Nachdruck, die Rezeption seiner Bilder richtigzustellen: «I'm not an abstractionist. I'm not interested in relationships of color or form or anything else. I'm interested only in expressing basic human emotions - tragedy, ecstasy, doom and so on - and the fact that lots of people break down and cry when confronted with my pictures shows that I communicate those basic human emotions.»

Es konnte kein schlimmeres Missverständnis geben, als seine Bilder aufgrund der unmittelbaren Farbwirkung als schön oder gar dekorativ zu verstehen. Als er die Black on Gray Paintings im Dezember 1969 einem Kreis von Freunden präsentierte, war die Äusserung «they don't look like Rothkos» folglich ein bestätigendes Kompliment.

Es galt alles, was vom direkten Dialog zwischen Bild und Betrachter ablenkte, zu überwinden, denn nichts sollte dem Vollzug des Bildes durch den Betrachter im Wege stehen, worin Rothko letztlich seinen Inhalt angelegt sah. Wenn nun die Black on Gray Paintings in unüberwindlicher Verschlossenheit dem Betrachter gegenübertreten, dann ist es, als würden sie ihm das Sehen verweigern, ihn blenden. Und erst in diesem paradoxen Blind-Sehen wäre der Betrachter in der Lage, isoliert sein Sehen wahrzunehmen. Im Kontext des Gesamtwerkes handelt es sich um einen weiteren konsequenten Schritt hin zu einem Bildideal, das ohne Referenz an Abbilder oder Sprache die Kommunikation mit dem Betrachter zum eigentlichen - menschlichen - Inhalt macht.

Die Mark Rothko Rooms: Ausdruck eines Ideals

Kurz vor seiner zweiten Europareise verfasste das Ehepaar Mark und Mell Rothko im Mai 1959 ein Testament. In begleitenden Briefen wurde festgehalten, wie mit der künstlerischen Hinterlassenschaft zu verfahren sei. Während einer Frist von fünf Jahren sollten Verkäufe der Bilder in geregelter Priorität erfolgen, deren Ziel es war, Werkgruppen zu garantieren. Es ist somit nicht weiter erstaunlich, dass bereits 1960 von der Gründung einer Stiftung die Rede war, die nicht nur steuerliche Erleichterungen versprach, sondern vor allem die spätere Pflege des Nachlasses im Sinne des Künstlers sicherstellen sollte.

Rothko war bestrebt, eine Vereinzelung der Bilder, ihre Isolation aus dem Kontext des Gesamtwerkes und das Herauslösen aus einer Gruppe, die auch einen räumlichen Zusammenhalt beabsichtigte, zu vermeiden. Entsprechend waren dem Künstler nach dem Scheitern des Auftrags für das Four Seasons Restaurant Ende der 50er Jahre, den sogenannten Seagram Murals, Aufträge für die Gestaltung ganzer Räume sehr willkommen. Mit grosser Zuversicht widmete er sich in den 60er Jahren den Harvard Murals und schliesslich der Mark Rothko Chapel in Houston.

Anlässlich seiner Retrospektive, die ihm das Museum of Modern Art in New York 1961 widmete, setzte er sich intensiv mit dem bisherigen Schaffen auseinander. Er achtete bei der Hängung genau auf das Zusammenspiel der einzelnen Bilder, schuf Harmonien und Akzente, die in ihrer Wirkung in den Raum ausgriffen und deren Zweck es war, eine unmittelbare Beziehung zwischen Bild und Betrachter sicherzustellen.

Im Rückblick wird diese Ausstellung zum idealen malerischen Gesamtraum, wie er dem Künstler vorschwebte und um dessen Realisierung er zeitlebens kämpfte. Begleitet von einer detaillierten Hängungsanleitung, wanderte die Ausstellung in der Folge durch mehrere europäische Städte. In Zusammenhang damit steht auch die Schenkung des Künstlers an die Tate Gallery in London.

Ein einzig Rothkos Werken vorbehaltener Raum und vor allem der Wunsch nach Permanenz waren die entscheidenden Verhandlungspunkte. Im Herbst 1968, als Rothko ein neues Testament verfasste, wurde die Stiftung als Erbin von rund 800 Werken eingesetzt. Das Hauptanliegen, möglichst viele Bilder permanent zusammenzuhalten, kennzeichnete die Überlegungen, die von der Gründung eines kleinen Museums in einem Brownstone Manhattans bis zu Dauerleihgaben an Museen reichten, die gewillt waren, die Werke permanent in einem Raum und nach den Vorstellungen des Künstlers zu installieren.

Die im Juni 1969 ausgefertigte Stiftungsurkunde blieb sehr vage. Die Folgen sind bis heute für das Gesamtwerk des Künstlers fatal. 1970, unmittelbar nach Rothkos Freitod, wurden die Bilder von den Nachlassverwaltern verkauft. Der Preisgabe des Lebenswerkes stand nichts im Wege, und viele Hauptwerke Rothkos ereilte jenes Schicksal, das er hatte verhindern wollen - sie wurden vereinzelt über die ganze 2Welt verstreut.

Dank der grosszügigen Leihgaben der Erben Rothkos, des Carnegie Museum of Art in Pittsburgh, der Sammlung john und Mary Pappajohn sowie privater Sammler ist es möglich, in Riehen einen Ort der Besinnung einzurichten, wo der Besucher ganz im Sinne von Mark Rothko eine Zeitlang in innerer Versenkung verweilen kann.

Oliver Wick

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