Artikel vom: 2. November 2003
Literatur
Zum Thema «Viele Kulturen – eine Sprache»
Wenig Neues vom Star-Gast
Pavel Kohout in Lesung und Gespräch
mit der Literaturkritikerin Ute Stempel im Literaturhaus Basel
Von Jürg-Peter Lienhard
Reden und Denken erzeugen Durst: Wenn Pavel Kohout wüsste,
dass das Basler Wasser ein hervorragendes ist, hätte er es zumindest
versucht! Auch Ute Stempel war nicht abgeneigt - auf einen Tropfen Ueckener
Grauburgunder… Foto: J.-P. Lienhard, Basel © 2003
Zufälligerweise in Basel finden die «Chamisso-Tage»
statt; warum, ist eigentlich nicht ganz klar: Ein von der Robert-Bosch-Stiftung,
Stuttgart, im Andenken an den französisch-preussischen Dichter Louis
Charles Adélaïde de Chamisso de Boncourt (1781–1838) ins Leben
gerufener Literaturwettbewerb (siehe Artikel vom 29. Oktober 2003 von
Reinhardt Stumm).
Das Literaturhaus Basel hat sich für die Abwicklung des Wettlesens
zur Verfügung gestellt und durfte mit dem vielen Geld einen der unzähligen
Chamisso-Enkel, Pavel Kohout, als «Star-Gast» einladen und
ihn am Freitag, 31. Oktober 2003, einem kleinen Publikum im «Unternehmen
Mitte» vorstellen.
«Es ist unverschämt, was dieser Kohout zur Bedingung seines
Auftrittes machte», meinte eine Person, Kennerin des Hauses, nach
der Gesprächsrunde von Pavel Kohout mit der Literaturkritikern Ute
Stempel. Und meinte Honorar und andere Diäten. Warum sollte denn ein
Schriftsteller nicht auch gehörige Honorare und Diäten fordern?
Bei einem Fussballer oder einem anderen Sport-Idioten ist das doch überhaupt
keine Frage, geschweige denn beim Boss der Swisscom, die aus «Spargründen»
Leute entlässt und gleichwohl Milliarden zu entsorgen hat!
Aargau ist auch Weinkanton
Immerhin freundlich zustimmend wurde Kohouts Forderung noch während
seines Diskurses vom Publikum und - mit etwas vornehmem Zögern - von
Margrith Manz, der Leiterin des Literaturhauses, aufgenommen: Ob es denn
in Basel etwas anderes als Wasser zu trinken gäbe? Er bekam einen
Grauburgunder aus dem hervorragenden Keller der Produzenten Fehr und Engeli
aus dem fricktalischen Uecken, die den «Kulturkanton» Aargau
schon seit Jahrzehnten in die Liga der «Schweizer Weinkantone»
gehievt hatten (diese Bemerkung geht an die Adresse des hörbar belustigten
Nasenrümpfers hinter meinem Sitzplatz!). Später hatte Kohout
in verdankenswerter Weise Erbarmen auch mit den trockenen Kehlen der rund
40 Zuhörer im überheizten Lesezimmer - nach eineinviertel Stunden
war das «Gespräch» endlich beendet.
Ein Lesungsbericht, der mit dem Apéro beginnt? Den hatten wir,
die Zuhörer nämlich, sehr verdient. Das war eben keine «Lesung»
und «Gespräch» auch nicht wirklich. Vielmehr bestritt Ute
Stempel den grössten Teil des «Gespräches» mit einer
ausschweifenden «Zusammenfassung» des Lebenslaufes von Pavel
Kohout. Natürlich ist das Wörtlein «bekanntlich» verboten,
wenn man sich an eine unbekannte Leser- oder Zuhörerschaft richtet.
Aber da die Zuhörer des «Gesprächs» fast ausnahmslos
der Generation angehörten, die die 70er Jahre bei vollem Bewusstsein
erlebten, war es des «Bekannten» doch etwas zuviel.
«Nachruf zu Lebzeiten»
Endlich kam Kohout zu Wort und meinte gleich zu Beginn schlagfertig
und an Robert Musils Novellensammlung anlehnend: «Es ist wunderbar,
seinen Nachruf zu Lebzeiten hören zur dürfen!» Damit war
zumindest sein Einstieg ins «Gespräch» gerettet. Kohout
jedenfalls spricht fast perfekt deutsch, und schreiben tut er ebenfalls
in dieser Sprache. Schliesslich wurde er vor 30 Jahren aus seiner Heimat
Tschechoslowakei ausgebürgert und in seinem Asylland Österreich
eingebürgert. Gelernt hat er deutsch, indem er das deutsch-tschechische
Wörterbuch «Wort um Wort» gelesen hatte, weil er eine
Wörtersammlumg für ein Projekt anlegte.
Wie er aber mit den deutschen Wörtern spielt, sie auf einen Punkt
hin schärft und damit eine ganz andere Aussage erzielt, als die einzelnen
Wörter bedeuten, das hat er nicht aus dem Wörterbuch lernen können,
sondern das ist seine Kunst. Davon gab er einige Bonmots zum Besten, und
es war bedauerlich, dass in diesem Sinne die liebenswürdige Ute Stempel,
ex-Buchkritikerin der «National Zeitung» selig, mit Kohout
nicht etwas mehr Ping-Pong zu spielen verstand.
Verhinderter Schauspieler - begnadeter Theaterautor
Das politische Literaturschaffen braucht einen Gegener. Davon hatte
es in der sozialistischen Ära der Tschechoslowakei wahrlich genug.
Doch die Tschechen hatten stets Gegner in ihrem Land und lernten dadurch,
einen «zensurfähigen» Sprachwitz zu entwickeln, der gleichwohl
was anderes aussagt, als es auf dem Papier scheint. Im Dreiländereck
sollte uns das bekannt vorkommen: Das «switchen» der Elsässer
vom elsässischen ins französische und umgekehrt, wenns um etwas
«Heisses» geht…
Der «verhinderte» Schauspieler Kohout («Ich wurde
immer rot, wenn ich auf die Bühne treten sollte und konnte meinen
Text nie behalten») fand dann seine wahre Begabung im Schreiben von
Theaterstücken. Ausgehend von der Erkenntnis, dass die klassischen
Stücke eine wahre Sammlung von Sprichwörtern sind (wenn mans
mal umgekehrt ansieht…), wurden in der sozialistischen Tschechoslowakei
die alten Klassiker zu «eindeutig» subversiven Medien: Das Publikum
tobte stets an den «falschen» Stellen, und die Politfunktionäre
rauften sich (schliesslich vergeblich) die Haare.
Bürger Schweijk - ein Greuel
Wie erwähnt, war die Tschechoslowakei stets von fremden Herren
beherrscht, was mit der Reformation begann, als der Katholizismus über
die Protestanten kam, sich fortsetzte mit den Okkupationen der Weltkriege
und dem Auseinanderreissen der böhmischen, deutschen und jüdischen
Kulturen. Nun, so Kohout, der inzwischen wieder seine Staatsbürgerschaft
in der Tschechoslowakei zurückerhalten hat und damit Doppelbürger
- ähem Europäer - geworden ist, gibt es in Prag wieder feste
Ansätze zu einer fruchtbaren Mehrsprachigkeit und damit wieder zu
einer lebendigen kulturellen Vielfalt.
Und wenn es jetzt keine Gegener mehr hat, die zu politischem Widerstand
zwingen? Schweijk ins Gruftyasyl? Schweijk komme seine Rolle zu in der
politischen Komödie: Als Gegenläufer im Mainstream ja, aber als
Bürger in einer aufgeklärten Gesellschaft ein Greuel. Und die
politische Literatur, die subversive Waffe der Geknebelten, welchen Bestand
hat sie noch in der «aufgeklärten Gesellschaft»? Die finde
sich zurück zur «Kunst». Kohout fürchtet indessen gleichwohl
keine «Arbeitslosigkeit», denn die «neuen Liberalen»
beginnen die gleichen Fehler zu machen, wie die alten Kapitalisten. Und
da hat er nicht ganz unrecht und war darum, oder trotzdem, auch nicht ganz
der falsche Gast im Literaturhaus.
Jürg-Peter Lienhard
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