Theater
«Hausräuke» bei Rafael Sanchez
Ein Bett, ein Tisch für alle…
Stubenhocken, Brunch & Tanz, Hauskonzert
und Tischgespräche für alle - Das Theater Basel kommt - endlich
- unter die Leute
Ein offenes Haus, wo man sich zuerst mal hinsetzt und plaudernd, füllend
voll die Rund' erquickt, wie ein artesischer Brunnen - so
wünscht sich der Hausregisseur als Hausherr künftig seine Wohnung.Foto:
J.-P. Lienhard, Basel © 2003
Mit Extra-Fotoseite (Verweis am Schluss des Artikels)
Von Jürg-Peter Lienhard
BASEL.- Eine verrückte Idee kommt in
Basel immer an: Der Hausregisseur des Theater Basel, Rafael Sanchez, erklärt
seine Wohnung am Klosterberg 6 zum öffentlichen Raum. Jeweils immer
am Montag und am Donnerstag Abend steht sein Heim dem Publikum offen, um
«Fragen und Themen des öffentlichen Interesses im privaten Rahmen
zu verhandeln». Dabei müssen die Gäste aber selber Hand und
Kopf anlegen und sich häuslichen Tätigkeiten und Pflichten unterziehen,
wie «erfüllender Hausputz», «Tagebuchlesen»,
ausgiebige «Körperpflege», günstiger «Kleidertausch»,
oder mehrstündiges «Zappen» etc.
Es war eine «Hausräucke» am Samstag, 27. September
2003, wie man sie in früheren Zeiten allenthalben abhielt, wenn flügge
gewordene junge Leute in ihr eigenes Dach über dem Kopf einzogen: Ein
Gewirr von Leuten, die sich nie zuvor begegnet waren, Kind und Kegel auf
dem Bett, auf dem Sofa am oder unter dem langen Esstisch. Düfte von
Sugo, gebratenen Champignons, die einer akribisch schälte und putzte
und beleidigt die Bemerkung wegsteckte, dass solches ja eigentlich gar nicht
nötig wäre.
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Nicht ganz klar ist, was der Hausherr am Klosterberg 6 an der «Hausräuke»
mit dieser Handbewegung andeuten will? Ob Rafael Sanchez wohl die Handhabung
von Kastagnetten zu erklären versucht?
Foto: J.-P. Lienhard, Basel © 2003
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Wir wussten schon immer, was eine Atelier-Wohnung oder meinetwegen ein
Wohn-Atelier ist. Jetzt wissen wir auch, was eine «Loft» ist:
eine Atelier-Wohnung oder meinetwegen ein Wohn-Atelier. Und neidvoll müssen
wir gestehen - hätten wir nicht so viele Bücher, Schallplatten,
Klamotten, Bilder und Computer-Un- und Hausrat im Verlauf unseres ordentlich
geführten Lebens zusammengesammelt, so hätten wir uns diesen Traum
schon längst erfüllt: Eine Ein-Raum-Wohnung, die nur mit dem
Nötigsten ausgestattet ist: Bett, Tisch, Stuhl und Kochplatte. Und
offen für alle, die mal reinschauen wollten.
Ein Spanier aus Aesch…
Nun kommt da einer, ein Spanier, der in Aesch (Baselland) aufgewachsen
ist und «Schtreel» und «Meentig» und «uufe»,
statt «Schträäl», statt «Määntig»
statt «uffe» sagt, und schnappt uns unseren Traum und - vor allem
- diese Atelier-Wohnung am Klosterberg 6 vor der Nase weg! Doch immerhin:
wir sind als Gäste stets eingeladen und können dann das tun, was
wir manchmal so sehr vermissen: Mit interessierten Leuten von etwas anderem
als vom FCB zu reden, gemeinsam Abwaschen - also ob wir das zuhause nicht
auch müssten -, die gesehenen Theaterstücke wiederkäuen,
mal zuhören, was da einer, der als Ensemblemitglied des Theaters hier
in Basel ja auch nur Gast ist, über seine Heimat im hohen Norden, ja
über seine ersten Eindrücke über Basel, erzählt, und
vielleicht die eine oder andere Entdeckung zu machen, die das Leben nur dem
bereit hält, der Augen, Ohren und Geist offen hat.
Wir sind schon immer der Meinung gewesen, dass man die Kantine des Stadttheaters
zunagelt, dass die Mitarbeiter des Theaterhauses vertraglich dazu verpflichtet
seien, sich in den umliegenden Beizen und Bistros zu verpflegen - damit
die Künstler, Musiker und Techniker des Theaters gewissermassen als
«Botschafter» ihres Hauses, sich dem Publikum stellten, das ja
in Basel auch der Geldgeber des Theaters ist, ungezwungen von ihrer Arbeit,
von ihren persönlichen Befindlichkeiten etwas preisgeben. Damit die
«Schwellenangst» bei so vielen, oder der trotz staatlichen Subventionen
extrem teuren Eintrittspreisen, keine unüberwindliche Hürde für
die Teilnahme an der von der Allgemeinheit bezahlten Kultur sei und die Lust
und Neugier auf die Produktionen geweckt würden.
«Gute Partie» für «bürgerliche
Mütter»
Uff! So in etwa versucht nun Sanchez, dessen Kantine ja auch aus wirtschaftlichen
Gründen nicht einfach zugemacht werden kann, mit seiner «offenen
Wohnung» etwas Publikumsnähe für die Theaterarbeit herzustellen.
Denn Theater ist Leben, wissen Theaterfreunde. Wir waren und sind gespannt,
erwarteten wir doch zunächst einen Spinner, einen hoffnungslosen Illusionisten,
einen hinterlistigen Provokateur, den wir mal aus nächster Nähe
anschauen wollten.
Doch Rafael Sanchez ist von alledem nichts, das heisst eines: Ein junger
Mensch mit Ideen, ein Theatermann zum «Anfassen», kein Pseudo,
und wäre er nicht vom Theater, könnte man ihn als «gute
Partie» bürgerlichen Müttern von «höheren Töchtern,
die Klavier spielen» empfehlen. Er hat einen gewissen «Rucksack»,
aus dem er freigiebig verteilen will. Lassen wir nun das Theater-Communiqué
zu «Wort» kommen, wo alles etwas Konkreter lautet und die Idee
Sanchez‘ und seiner Freunde präziser vorstellt:
Die Absicht…
«Sanchez, seit dieser Saison Hausregisseur am Theater Basel („Geld
und Geist“, „Odyssee 2003“, „Das Sortiment“) und Leiter des neuen Veranstaltungsortes,
wird das Publikum in dieser Saison jeden Montag und Donnerstag in sein neues
Heim am Klosterberg 6 einladen.
Immer donnerstags vor dem Schlafengehen baut Sanchez sein Wohnzimmer
um: Der noch intimere „Klub!“ mit Hausfreund Matthias Günther entsteht.
Dieser alte Bekannte ist ein häufiger Besucher und wird zusätzlich
ein Mal monatlich in einem kleinen Kreis zu Abend speisen und mit einem prominenten
Gast zum gemeinsamen Tischgespräch bitten.
Der neue Schauspieldirektor Lars-Ole Walburg betreibt Nachbarschaftspflege
und lädt dazu ein Mal im Monat eine Persönlichkeit des öffentlichen
Lebens der Stadt Basel zum Stadtgespräch in Sanchez’ Wohnung.
An einem Samstagnachmittag im Monat wird um 17.00 Uhr zum Hauskonzert
aufgespielt, und jeden ersten Sonntag des Monats wird der Hausherr
vom Club 75 besucht. Die Senioren laden alle im Alter zwischen 5 und 105
Jahren ab 11.00 Uhr zum Brunch, der am Nachmittag in ein Tanzcafé
mit Musik, Kaffee und Kuchen mündet.
Und natürlich wird auch Theater gespielt! Rafael Sanchez und andere
junge Regisseure und Schauspieler des Theater Basel werden in seinem Wohnzimmer
lesen, inszenieren, probieren und spielen. Literarische Fragmente, Texte
junger Autoren, filmische Stoffe und klassische Werke grosser Dichter werden
zwischen Sofalandschaft und Badewanne zur Aufführung gebracht. Gardine
auf!»
…und das Programm
Nachzutragen zum Communiqué des Theaters ist das Programm der
nächsten Tage, das wir als winzigen, blutroten «Flyer»
von der Cocktail-Bar an Sanchez‘ «Hausräucke» - pardon:
«Houseparty» stibitzten:
Montage 29. September, 6., 13., 20. und 27. Oktober
2003, jeweils ab 21 Uhr: «Stubenhocken - seid häuslich»
- ungezwungenes Beisammensein
Donnerstage, jeweils ab 23 Uhr: «K!ub».
Themen: am 2. Oktober «Weiter-Machen», am 9. Oktober «Schlager-Haft»
und am 30. Oktober «Seins-Verneinung»
Sonntag, 5. Oktober, 11 bis 16 Uhr: «Brunch
& Tanz» mit dem «Club 75»
Samstag, 18. Oktober, 18 Uhr: Hauskonzert
mit Friedrich Liechtenstein: «The please have a look from above-show»
Samstag, 25. Oktober, 18 Uhr: Tischgespräch.
Anmeldung nötig unter Tel. 061 295 14 64
Weitere Veranstaltungshinweise des «K6»
(Klosterberg 6), täglich aktualisiert unter: Mehr…
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In der Düggelin-Zeit hatte Werner Düggelin
gewissermassen sein Büro im Kunsthallen-Restaurant. Der stets in schmuddeligen
Holzbottinen gekleidete Orlikowsky hielt mit seinen Ballettratten Hof ebenfalls
in der Kunsthalle, wo auch «Kleiby» seinen Stammtisch zusammenhielt.
Im - heute einem Neubau gewichenen - «Café du Theâtre»
gaben sich Grace Bumbrey und andere nachmalig weltberühmten Operndiven
die Klinke in die Hand. Im «Steinenklösterli», dem heutigen
«Warteck-Pub» warens die Opernsänger und in der «Rio-Bar»
gabs für die Bühnentechniker oder Schauspieler das «Theater-Bier»
- ganze 20 Centimes billiger als für Normalsterbliche...
Dann wurde das Theater gesprengt. Der Schuss ging aber hinten hinaus,
und der Kunsthallengarten wurde arg verwüstet. Ein schlechtes Omen
für die damalign Wirtsleute, die Familie Früh, die zwar keine
grossen Gastronomen waren, aber Künstler und Pseudokünstler machen
liessen. Bis der Kunsthallenverein sich einen neuen Wirt anlachte, der
gleich mit einem Kokainskandal in die Schlagzeilen und in eine Zelle des
Untersuchungsgefängnis «Lohnhof» geriet.
Von da an wars aus mit der «inoffiziellen» Kantine des Theaters,
zumal es mit dem Neubau eine eigene Kantine eröffnete, nicht zuletzt
um der überteuerten «Umgebung» etwas die Stirn zu bieten.
Immerhin konnte «Dügg» noch ein sagenhaftes Abschiedsfest
im Kunsthallengarten geben, wo ein Konzertpavillon und eine geteerte Tanzfläche
inmitten des Kieselsteine-Grundes des Gartens bestand, und wo dann eine
Innerschweizer «Hudigääggeler»-Kapelle aus «Dügg»-Freunden
aus vollen Kräften in Tasten, Saiten und Klarinette-Klappen hieben.
Dann wurde die Kunsthalle mehr und mehr der Treffpunkt von Bankangestellten
und von geschäftigen Nobodys, die sich allmählich wieder in die
von den Künstlern befreite Kunsthalle getrauten und dort dafür
für teures, sehr teueres Geld Ranzen und Nieren malträtieren dürfen.
Rafael Sanchez wollte an die alte Tradition des Künstlertreffs
der Theaterleute in der Kunsthalle wieder anknüpfen - «aber
man wollte uns nicht, da wir zu wild sind», meinte er an der «Hausräucke»
zu uns. Da haben wirs wieder: Kaum macht ein Künstler das, was man von
ihm erwartet, wird ihm das Lokal verwiesen… Das ist nun die andere Seite
Basels! Doch haben sich die Zeiten insgesamt eben allenorten geändert:
Alles ist extrem teuer geworden; der Kostendruck erlaubt daher einer Wirtschaft
keinen Raum mehr für Experimente, für den selbstlosen Aufbau eines
gesellschaftlichen Modells selbst im Microbereich.
Nun, gehen wir also hin zu Sanchez, bringen ihm ein paar Flaschen Wein,
Bier, eine fette, gebratene oder zum Braten bereite Gans, öffnen unsere
Ohren, unsere Seele, den Geist (ziehen aber vorher die Schuhe aus!), nehmen
und geben, womit man sich hierzulande doch schwer tut: Gastkultur,
die beflügelt!
Jürg-Peter Lienhard
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