Spargeln
Wie die Spargeln ins Elsass kamen
Gottlob hat Frau Acker den Krieg im Pfarrgarten verloren
Pfarrer Gustave Heyler entdeckte als Missionar die Spargeln
in Algerien - Anbauversuche im Elsass geschah aus sozialen Motiven
Von Jürg-Peter Lienhard
Maire Georges Acker von Hoerdt im Unterelsass schaltete jeweils
auf stur, wenn ihn der täglich schriller werdende Kriegsruf durchs
Küchenfenster aus seinem Gärtchen vertreiben sollte: «Ich geh' noch nüss
un riss d'r di Schysskrütt üss!» Was die erboste Bürgermeistersfrau mit
«Schysskrütt» meinte, sollte nur wenige Jahre später seinen Siegeszug
den Rhein hinauf bis ins Zürichbiet antreten und Wegbereiter für die
heute allerorten so beliebte Frühlingsschlemmerei werden: die edle Spargel.
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Bild 1 Wappen
Das Wappen von Hoerdt zeigt einen Spargelbund auf «goldenem» Sandboden. Aus: «Hoerdt» (Gemeindebuch, gestiftet
von der Raiffeisenkasse Hoerdt «CMDP»), August 1983. |
Wenngleich die lateinisch «asparagus officinalis» geheissene
Spargel schon in der ägyptischen Antike als Delikatesse geschätzt wurde,
so ist sie bei uns vergleichsweise doch noch jung beheimatet. Und dabei
war die Einführung der Spargel vor erst rund hundert Jahren bei uns
nicht die Laune einer fortwährend nach neuen Genüssen hungernden
«Erlebnisgastronomie», sondern eine soziale Innovation eines Einzelnen:
Von Louis Gustave Heyler. Er wurde 1869 in als protestantischer Pfarrer
in die nordelsässische Gemeinde Hoerdt am Rhein berufen, nachdem er
zuvor als Missionar in Algerien wirkte.
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Bild 2 Büste Heylers
Pastor Louis Gustave Heyler gilt als «Erfinder» der elsässischen Spargel. Nach ihm sind in der ersten
«Spargelgemeinde» auch eine Schule und eine Strasse benannt.
Foto: J.-P. Lienhard
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Dort beobachtete er die Einheimischen, die in sandigem Boden das ihm
bislang unbekannte Spargelgemüse kultivierten. Und ebenso sandig, das
heisst karg und mager, war der Boden in Hoerdt, der nie genug hergab, um
die armen Bauern gesund zu ernähren - ganz im Gegensatz zu den reichen
Kraut-, Hopfen- und Weinbauern weiter südlich.
Spargelverkauf für fehlende Grundnahrungsmittel
Aber nicht der gesundheitliche Aspekt der Spargel an sich war
ausschlaggebend für die Idee Heylers, sondern der finanzielle Zustupf,
der mit dem Verkauf auf den Märkten Strassburgs erzielt und zumal für
den Kauf sonst unerschwinglicher und daher fehlender Grundnahrungsmittel
verwendet werden sollte.
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Bild 3: Häufchenkulturen in Hoerdt
Typisch für die Hoerdter Spargelkulturen sind die Häufchen rund um die Setzlinge. Dadurch werden die Hügel mit dem
wandernden Sonnenstand stets gleichmässig mit der nötigen Wärme versorgt.
Foto: J.-P. Lienhard
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Allerdings musste der Markt erst einmal geschaffen werden. Denn vorerst
nur die Oberschichts-Minorität Strassburgs kannte Spargeln - von ihren
Schlemmertouren in Paris. Heyler fand aber in Bürgermeister Acker einen
vorausschauenden Verbündeten und ermunterte ihn zum Experimentieren im
benachbarten Pfarrgarten. Nicht ohne Jahre dauernde Rückschläge und
blossen Teilerfolgen, denn ein Spargeltrieb braucht allein schon vier
Jahre Wachstumszeit bei guten Bedingungen, bis die erste Spargelspitze
gestochen werden kann.
Aber Acker erkannte früh, dass die deutschen Pfeifenraucher den
schwarzen Tabak verschmähten, der im Norden des damals deutsch
gewordenen Elsass als «Hoffnungsträger» angefangen anzubauen wurde. Das
erklärt den «Kriegsruf» der Madame Acker, und das erklärt die «Sturheit»
des Monsieur Acker ebenso: «Gottlob», sagen die eingeschworenen
Liebhaber der elsässischen Spargel heute wie damals, «hatte seine Gattin
den Krieg im Pfarrgarten verloren!»
Siegeszug rheinaufwärts in alle «Sandregionen»
Durch unermüdliche Überredungs- und Überzeugungskunst von Pfarrherr und
Bürgermeister, aber auch schmerzlich erzwungen durch die
Kartoffelkäfer-Seuche, der man damals machtlos gegenüberstand, stiegen
die Hoerdter Bauern nach 1880 in den Spargelanbau ein. 1891 schon wurde
die heute noch existierende Genossenschaft der Hoerdter Spargelzüchter
gegründet, die dem Spargelpfarrer später die Büste am Pfarrhaus verehrte.
Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges stiegen die Einkünfte aus dem
Spargelanbau von 6650 Reichsmark auf über 290 000 RM - damals eine
enorme Summe. Und noch heute ist in Hoerdt die Spargelzucht ein
willkommener Zusatzverdienst, wenngleich auch nicht mehr im selben
Umfang Spargeln angebaut werden. In den fruchtbarsten Jahren der
Spargelkultur fand sie ihre Abnehmer bis nach Frankfurt, Stuttgart und
sogar bis Petersburg, wie die Genossenschaftschronik stolz vermerkt.
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Bild 4 Reihenhügel in Village-Neuf
Anders als in Hoerdt werden die Spargeln in Village-Neuf in Reihenhügeln angebaut. Spargelbauer Keller zeigt, wie
Spargeln gestochen werden: Eine mühsame Handarbeit bei ständigem Gebücktsein. Ein Grund mehr, warum die Spargelzucht
im Elsass verschwindet. Im Hintergrund: Die Fabrikanlagen der Roche-France in Village-Neuf (Neudorf) am
Ufer des Rheins, wo am «Rheinknie» der beste Spargelboden im ganzen Elsass verbetoniert wurde.
Foto: J.-P.
Lienhard |
Von der Idee und vom Erfolg profitierten auch andere «Sandregionen» in
der elsässischen Rheinebene - hinauf bis Village-Neuf und bis Hüningen,
wo heute anstelle des besten Spargelbodens am Rhein überhaupt die
Fabrikationsanlagen der Roche-France klotzen.
Von Strassburg bis Zürich via protestantische «Buschtrommel»
Heylers und Ackers Beispiel griff aber weit über die Landesgrenzen Fuss.
Nicht nur im Badischen, sondern - dank der traditionellen Verbundenheit
Strassburgs mit Zürich - auch im Zürichbiet. Diese protestantischen
Städteregionen bauten im letzte Jahrhundert einen regen Kontakt unter
ihren Theologen und christlich motivierten Gelehrten auf. Zumal viele,
die in der damaligen Helvetischen Gesellschaft wirkten und ihr Wissen,
angesichts des entstehenden Proletariates der frühkapitalistischen
Epoche, in den Dienst sozialer Verbesserungen stellten. Albert
Schweitzer, nur um ein berühmtes Beispiel zu nennen, pflegte als
Elsässer zeitlebens einen engen Kontakt mit der Zürcher Region - ganz in
der Tradition dieser protestantischen Pioniere des sozialen und humanen
Handelns.
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Bild 5 Spargelspitzen
Wenn Spargeln den Sanboden durchbrechen und ans Tageslicht gelangen, werden ihre Spitzen durch das Licht violett,
was auch den Geschmack verändert. Liebhaber bevorzugen deshalb Spargeln, die bei der dunklen Morgendämmerung
gestochen werden. Das erklärt auch, weshalb die Spargeln aus Village-Neuf in Basel so beliebt sind, auch wenn diese
wegen der südfranzösischen und spanischen Konkurrenz erst spät in der Saison auf den Markt kommen: Sie werden am
Morgen gestochen und kommen schon am Mittag auf den Tisch.
Foto: J.-P. Lienhard |
Heute ist die elsässische Spargel, die unter Kennern wegen ihres
besonderen Geschmackes beliebter ist als ihre südlichen Artverwandten,
auch wieder vom Verschwinden bedroht. Denn die Konkurrenten aus
Cavaillon oder Spanien sind Monate früher auf dem Markt. Aber auch die
intensive Pflege von Hand, macht hierzulande die Spargelkulturen für die
meisten Gemüsebauern wirtschaftlich nicht mehr interessant.
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Foto 6 Spargelbrüder
Die Neudörfler Spargeln haben ihre eigene Bruderschaft: Unter dem Präsidium des «Grand Maître Aspergier», André
Weber, werden jedes Jahr prominente Bewohner des Dreiländerecks nach einer «Fähigkeitsprüfung» in den erlauchten
Kreis der Spargelbruderschaft aufgenommen. Die Prüfungsfrage lautet stets gleich: «Welche der hier liegenden Spargeln
sind am Morgen und welche am Mittag gestochen worden?»
Foto: J.-P. Lienhard
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Gleichwohl sollten wir bei der nächsten Cavaillon-Spargelplatte daran
denken, dass wir erst durch den Elsässer Spargelpfarrer Heyler von
Hoerdt diese Delikatesse heute als Selbstverständlichkeit geniessen dürfen.
Jürg-Peter Lienhard
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Foto 7 Spargelorden
Nach der Aufnahme in die Spargelbruderschaft erhält der Prüfling einen Orden in Form eines Spargelbundes, dessen
Gewicht mindestens eine gute Portion Neudörfler Spargeln aufzuwiegen vermag.
Foto und Orden: J.-P. Lienhard, Spargelbruder |
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