Kommentar ad Japaner im Elsass
Wo ist das Basler Büro in Japan?
Von Jürg-Peter Lienhard
Die Erschütterung soll selbst noch in Basel verpürt worden sein. Es war
zwischen elf Uhr und Mittag, als am 7. November 1492 ein Meteorit von
260 Pfund Gewicht bei der damaligen vorderösterreichischen Residenzstadt
Ensisheim im Elsass einschlug. Albrecht Dürer, der zu dieser Zeit in
Basel weilte, eilte mit Hunderten von Schaulustigen an den Ort des
Naturspektakels und hielt es in einem erst in den siebziger Jahren des
vergangenen Jahrhunderts entdeckten Gemälde fest.
Etwas mehr als fünfhundert Jahre später: Die ungleichsam bedeutendere
Erschütterung, die im Elsass das Wirtschaftsleben erfasst, wird in Basel
kaum registriert: Die Elsässer riefen die Japaner, und die kamen, und
mit ihnen 5000 neue Arbeitsplätze. Noch steht aber fast 2000 Kumpels der
Kalizechen in der Gegend von Ensisheim das Aus bevor; das Salz ist alle.
Doch schon ist in China ein Elsässer Büro eröffnet, das den Chinesen den
Wirtschaftsraum Elsass schmackhaft machen soll. Wer vor 15 Jahren
lächelte, als die Elsässer in Japan ein Büro eröffneten, der kennt heute
diese Absicht und lächelt auch - aber gewogen! Die Tatsachen haben ihn
eines Besseren belehrt!
Die Basler wissen nicht, was vor ihrer Tür geschieht: Das Elsass stellt
ein mächtiges Wirtschaftsreservoir dar, das geneigt ist, bald einmal
seinen schweizerischen Nachbarn das Wasser abzugraben.
Viele Basler meinen das Elsass zu kennen, meinen vielleicht «Chez Lucie»
in Hegenheim oder im besten Fall eine edlere Beiz im Grenzgürtel. Und
schliesslich gibt es ja so schöne Velostrecken entlang des Rheinkanals
oder ins Sundgauer Hügelland zur «Couronne» in Leymen.
Doch wenn man auf der Michelin-Karte das Elsass von seinem nördlichsten
Zipfel bei Strassburg bis zum unteren Ende vor den Toren Belforts mit
dem Masstab vermisst, stellt man mit Erstaunen fest, dass das Elsass
rein luftlinienmässig 220 Kilometer lang ist. Dies ist - auf die
Schweizer Karte übertragen - eine Strecke von Basel nach Bellinzona. Und
wie auf dieser Luftlinie in der Schweiz, welche grundverschiedene
Gegenden, Jura und Alpen, Dialekte, ja Sprachen durchquert, ist das
Elsass geographisch wie sprachlich und besonders wirtschaftlich von
unten bis oben verschieden.
Ist es etwa ein folkloristisches Kuriosum, dass Strassburg die
Hauptstadt Europas ist? Dass dessen Universität weltweites Ansehen
geniesst und von vielen Deutschen aus der dortigen Region als
Ausbildungsstätte bevorzugt wird? Dass milliardenschwere Unternehmungen
auf das Elsass als Drehscheibe Europas setzen, und nicht auf Basel, das
es lediglich von sich behauptet?
Und so stellt sich die Frage: Wie bereitet sich Basel auf die - vorerst
noch geräuspert geäusserte - «Vision» eines Abzugs von Novartis in die
USA vor? Wo ist das Basler Büro in Japan, wo in China? Wo ist die
«Generalunternehmung Basel», die alle «Verträglichkeitsprüfungen» in
eine Hand nimmt und allen «Rösslein» am Wagen gleichzeitig die Sporen gibt?
Jürg-Peter Lienhard
Lesen Sie die dazugehörigen Texte:
Interview mit André Klein: «Elsässische und japanische Mentalität sind
sich ähnlich»
«Investoren vom anderen Ende der Welt»
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