Artikel vom: 19. November 2003
Weinwirtschaft
Herbst 2003
Die elsässischen Winzer jubeln
Mehr als ein «aussergewöhnlicher»
Jahrgang - Trockenheit im Sommer war förderlich für die Rebgesundheit
und Qualität - Etwas Rebbaukunde (Meteorologie, Biologie, Geologie,
Topographie, Chemie, Ökologie, Ökonomie, Historie und Geographie)
Von Jürg-Peter
Lienhard
COLMAR. - Wer etwas von Wein versteht und die langweiligen,
biologisch entsäuerten Schweizer Weissen verabscheut, soll sich so bald
wie möglich einen elsässischen Winzer anlachen: Einen Jahrgang,
wie den des Jahres 2003, wird es wohl nicht so bald wieder geben, und man
muss fast 500 Jahre in der Geschichte zurückgehen, um vergleichbare
Bedingungen zu finden! Foto: J.-P. Lienhard, Basel
© 2003
Zwar jubeln die elsässischen Winzer über den Weinherbst
2003, doch sie wundern sich um so mehr, wie aus den von mir eingeholten Beurteilungen
der Winzer und deren Dachverband Civa hervorgeht. Die Weinbauern im Elsass,
vom Metier her gezwungenermassen stets weitaus gebildeter als die anderen
Gewerbler, haben die Herbstergebnisse schon seit Jahrhunderten aufgezeichnet.
Der heisse und langanhaltend trockene Sommer liess den Jahrgang derart früh
reifen, dass die Önologen bis ins Jahr 1540 zurückblättern
mussten, um vergleichbare Bedingungen für den diesjährigen «Herbst»
zu finden!
Zum Resultat 2003 haben allerdings verschiedene Faktoren - nicht nur der
heisse Sommer - sehr günstig zusammengespielt und rufen eindrücklich
in Erinnerung, dass es die Natur ist, die, trotz stets sauberer werdenden
Vinifikations-Techniken, letztlich über die Qualität eines Jahrgangs
entscheidet! Im Gegensatz zur Tendenz der letzten Jahre war zudem der Winter
2002/2003 streng, mit zwei langen Frostperioden im Januar und Februar. Die
darauf folgenden milden Temperaturen im März ermöglichten einen
vorzeitigen Knospenaustrieb zu Anfang April.
Drei Wochen Blütenvorsprung!
Zwar verursachten in diesem Zeitraum Frühjahrsfröste Schäden
auf den weitest entwickelten Parzellen, doch die ungewöhnlich hohen
Temperaturen in den Monaten Mai und Juni bewirkten einen in der Geschichte
fast einmaligen und sehr homogenen Blütenvorsprung von drei Wochen!
Die Niederschläge waren schwach oder gar ausgeblieben, wodurch die
Reben sich aus den tiefliegenden Wasservorräten versorgen mussten und
in leichten Bodenformationen gar eine Reifeverzögerung bewirkten. Ja,
einzelne Rebgärten wurden von strichweisen Hagelstürmen heimgesucht,
die teils schwere Schäden anrichteten. Schliesslich kam es zu einem
Hitzestau im Laufe des Monats August, wobei die Temperatur während 14
Tagen anhaltend über 40 Grad lag. All diese Faktoren haben dazu beigetragen,
dass das Lesevolumen reduziert, vor allem der Reifevorsprung verstärkt
und dadurch die Qualität erheblich zunehmen konnte.
Ausgezeichnete Rebgesundheit
So hat der «Conseil Interprofessionnel des Vins d‘Alsace»
(Civa) das Herbsten noch nie so früh angesetzt, wie in diesem Jahr:
Am 25. August bereits für die Bezeichnung «Crémant d‘Alsace»;
am 8. September für die Bezeichnungen «Alsace» und «Alsace
Grand Cru» sowie am 15. September - in anderen Jahren für gewöhnlich
erst der Herbst-Beginn - für die Prädikate «Vendanges Tardives»
(Elsässische Spätlesen) und «Sélection de Grains Nobles»
(Trockenbeerenauslesen). (Siehe Box über die elsässischen Weinsorten
am Schluss dieses Artikels.)
Zur Qualität äusserte sich das Civa, indem es allenorten eine
«ausgezeichnete Rebgesundheit» feststellen konnte, bedingt durch
die aussergewöhnliche Trockenheit des Sommers, wodurch sich die Entwicklung
der «kryptogamischen Krankheiten» (Pilz-/Sporenbefall) verlangsamte.
Mächtige Weine zu erwarten
Während alle Rebsorten am Ende einen sehr hohen potentiellen Alkoholgehalt
aufwiesen, obwohl zahlreiche Betriebe mit einem von einer Parzelle zur anderen
unterschiedlichen Reifezustand konfrontiert waren, erreichte der Most einen
nur geringen Säuregehalt. Und jetzt höre man und staune, was das
Civa bei der Europäischen Union beantragen musste, und aufgrund der
Faktenlage auch «ausnahmsweise» bewilligt bekam: die Säureanreicherung.
Es werden dennoch «mächtige» Weine werden, meinte denn das
Civa in seinem Herbst-Bericht.
In den meisten Fällen seien die Riesling-Weine, die «Königinnen
der elsässischen Rebsorten», elegant und fruchtig. Die Pinot-Noir
zeichneten sich durch eine Farbintensität aus, wie sie bisher nur selten
erreicht worden ist. Trotz der grossen Hitze gerieten die Pinot-Gris-Weine,
aber vor allem die Gewürztraminer, sehr aromareich und elegant. Und
wie es sich gehört, sind die Muskateller und Pinot-Blanc fruchtig geraten,
während die einfachen Sylvaner mit viel Körperfülle glänzen
können.
Gleichwohl 20 Prozent Ausfall
In Sachen Quantität, ein Faktor, der zusammen mit der
Qualität, im Wesentlichen den Preis bestimmt, sieht es wohl so aus,
dass der Spitzenjahrgang 2003 wohl ziemlich teuer gehandelt werden dürfte:
Die Fröste im Frühjahr, der Hagel im Sommer und die Trockenheit
haben das Lesevolumen derart dezimiert, dass der Ausfall im Vergleich zu
den vorangegangenen Jahren ungefähr 950 000 Hektoliter oder 20 Prozent
ausmacht.
Sehr stark beschränkt ist auch das Volumen der Trockenbeerenauslesen
ausgefallen, weil aufgrund des ausgezeichneten Gesundheitszustandes der Trauben
keine Edelfäule entstehen konnte. Auch die Spätlesen ergaben nur
Durchschnittsmengen.
Immerhin befänden sich die Märkte, nach Überwindung des
Winterrückschritts wieder auf einem mit dem Vorjahr vergleichbaren Stand,
erklärt das Civa. Und trotz der geringen, defizitären Ernte, seien
die Lagerbestände «befriedigend» bis «ausreichend».
Lesen Sie dazu die kleine elsässische Weinkunde:
«Die Glorreichen Sieben» Mehr…
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